link

Wie geht es Physiotherapeuten damit, wenn es bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz um mehr als nur den Rücken geht?

Es gibt überzeugende wissenschaftliche Belege (Evidenz) dafür, dass bei Betroffenen mit chronischem Rückenschmerz (LBP) mehrere Faktoren im Falle ausbleibender Erholung und fehlender Wiedergewinnung einer guten Lebensqualität wirksam sind. Es ist eine verbreitete Annahme, dass daran die Dinge, die auf Bildern wie MRT oder Röntgen zu sehen sind sowie physische Faktoren wie Bewegungsverhalten schuld seien. Dabei wird immer klarer, dass die nicht körperlichen Faktoren – wie Furcht, Stress, Depression, Unzufriedenheit am Arbeitsplatz und die Überzeugung, was mit ihrem Rücken nicht in Ordnung sei- mindestens genauso entscheidend sind, ob jemand sich von seinen Rückenschmerzen wieder erholt. Während die jeweiligen Anteile am Gesamtbild individuell variieren, zeigt sich bei den allermeisten Patienten mit chronischem Rückenschmerz die dringende Notwendigkeit, die zuletzt genannten Faktoren anzugehen.
Unglücklicherweise sind Berufsgruppen, die Betroffene mit Rückenschmerz behandeln ( z. B. Ärzte, Physiotherapeuten, Chiropraktiker, Osteopathen) nahezu ausschließlich in der Behandlung rein körperlicher und struktureller Faktoren von Rückenschmerzen ausgebildet. In der Folge ist es sehr zweifelhaft, ob die entscheidenden nicht-körperlichen Aspekte von den obengenannten Berufsgruppen angemessen erfasst und kompetent in die in die Behandlung von Rückenschmerzen integriert werden.
Diese frei zugängliche systematische Übersicht untersucht zwölf Studien, in denen Physiotherapeuten über Fokusgruppen oder teilstrukturierte Interviews zu ihren Erfahrungen bei der Behandlung von Patienten mit chronischem Rückenschmerz interviewt wurden. Es zeigte sich, dass kognitive, psychologische und soziale Faktoren des Rückenschmerzes nur zum Teil erfasst wurden, meist nur bezüglich familiärer und beruflicher Fragestellungen oder nachteiliger Patienten- Erwartungen.
Patienten mit Rückenschmerz wurden oft als fordernd, aufmerksamkeitsssuchend und wenig motiviert stigmatisiert, wenn sie entsprechende Verhaltensweisen zeigten. Zum Beispiel wurden Betroffene, die wenig Interesse an ihrer Wiederherstellung oder kaum Hoffnung auf Besserung demonstrierten, als faul und unmotiviert kritisiert, anstatt dies als möglichen Hinweis auf eine Depression zu werten.
Physiotherapeuten hatten den Eindruck, dass ihnen weder ihre Basisausbildung noch gängige Weiterbildungen das Rüstzeug und Selbstvertrauen vermittelt haben, solche Faktoren bei Rückenschmerzpatienten erfolgreich anzugehen. In der Folge bezweifelten sie die Sinnhaftigkeit, solche Faktoren überhaupt in Betracht zu ziehen, da sie deren Behandlung ohnehin als außerhalb ihrer Kompetenz vermuteten.
Diese Literaturübersicht berücksichtigt nicht, inwieweit die Ergebnisse auf andere medizinische Berufsgruppen übertragbar sind, auch wenn man annehmen kann, dass es sich bei den anderen Berufsgruppen ähnlich verhält. Betrachtet man die große Bedeutung dieser Faktoren zur Erzielung einer nachhaltigen Besserung bezüglich Schmerz und Lebensqualität, gibt es eine Notwendigkeit, die Kompetenz zu Identifikation und Management solcher Faktoren bei Physiotherapeuten- und alle andern Berufsgruppen, die Rückenschmerz behandeln- zu erhöhen.

Information zur Person
Aoife Synnott ist im Begriff , ihr viertes (und letztes) Jahr des Bachelor-Studiums für Physiotherapie University of Limerick, Irland zu absolvieren und hat ein hohes Interesse an qualitativer Forschung und chronischem Rückenschmerz. Bisher hat sie ihre Forschungsarbeit im Rahmen eines Stipendiums des Health Research Board of Ireland Summer Scholarship und als Abschlußarbeit des vierten Jahres unter der Supervision von Dr. Kieran O’Sullivan durchgeführt. Ein Teil der Projekte beinhalteten Interviews mit Physiotherapeuten, die eine zusätzliches Ausbildung in Erkennen und Management “nicht-körperlicher” Faktoren beim Rückenschmerz durchlaufen haben. Die Ergebnisse werden in zukünftigen Beiträgen bei Pain_Ed beschrieben werden.

« // »